Grundlagen

Plastik und Skulptur

Als Plastik wird seit Beginn der Neuzeit ein Werk verstanden, das hauptsächlich durch Antragen von weichen Materialien wie z.B. Ton oder Wachs entstanden ist. Der weitere Arbeitsprozess, wie das Gießen von Blei, ändert an der Bezeichnung nichts mehr.

Von einer Skulptur wird dann gesprochen, wenn das Werk durch Abtragen von hartem Material wie Stein oder Holz entstanden ist.

In den folgenden Erläuterungen gilt, wenn logisch, der Begriff Plastik auch für Skulptur.


Aufstellung von Körper- und Volumenplastik/-skulpturen

Die Aufstellung einer Plastik ergibt sich aus den Beziehungen zwischen der Komposition einer Plastik und ihrer Umgebung und verlangt nach einem bestimmten Standort. Die Aufstellung kann zufällig sein (in einem Museum) oder z.B. auf die Hauptseite eingehen (Pietà). Ein- bis dreiansichtige Plastiken lassen sich gut in eine Nische stellen, allansichtige Plastiken fordern eine freie Aufstellung auf einem Platz (Freiplastik). Dabei hat die Größe und Höhe der Aufsocklung Auswirkungen auf ihr Verhältnis zum Umraum. Plastiken mit hohem Sockel wirken isoliert, sockellose Plastiken integrieren sich besser in den Umraum (Bürger von Calais).


Über das Wahrnehmen von Körper und Raum

Die haptische Wahrnehmung ist ein zuverlässiges Mittel zur Material- und Formwahrnehmung. Sie bezieht sich in der Regel nur auf die konkreten Oberflächenformen wie gerade oder gebogen, elastisch oder hart, glatt, rau, rissig, schwellend oder dürr usw., sowie die Größe und Lage eines Körpers zu einer materiellen Grundfläche. Die Lage eines Körpers im Raum und das komplexe Beziehungsgefüge zwischen mehreren Körperformen und Raumform ist – von Richtungskomponenten einmal abgesehen – kaum zu ertasten.

Die materielle Beschaffenheit eines Gegenstandes lässt sich jedoch über Oberflächenstrukturen, Artwärme und Eigengewicht weitgehend erfassen. So ist das Abtasten von Formen in der Bildnerei eine wichtige Hilfe, jedoch nicht konstitutiv für die Formung einer Plastik. Figurale Gestalt, Ponderation und Komposition lassen sich endgültig nur über den Gesichtssinn, das Sehen von räumlich wirkenden Beziehungen, festlegen.


Der Raum als Wahrnehmungsgröße

Der Bezug vom Rezipienten zu einer Plastik kann durch eine Verortung beeinflusst werden, beispielsweise, ob die Plastik in einem Zimmer steht oder in einer Ebene. Hierbei werden die Grenzen des Raumes stets in die Beurteilung des Seherlebnisses miteinbezogen (z.B. Horizont bei Mutter und Kind). Der Raum wird nach den Körperachsen des Wahrnehmenden strukturiert, d.h. „oben und unten“ sowie „vorne und hinten“ und danach auch „rechts und links“ sind ausgezeichnete Größen des Beziehungsgefüges Mensch – Umgebung. Der durch Grenzen sichtbar gemachte Wahrnehmungsraum des Menschen lässt sich zu einem geordneten Wahrnehmungsfeld mittels der drei Dimensionen gliedern. Höhe, Breite und Tiefe eines Körpers werden auf die Raumstruktur und den eigenen Standort übertragen. Es bildet sich im Menschen der reflektive Raumbezug.

Jede räumliche Erfahrung bezieht der Betrachter auf seine Gestaltgröße und das ihn umgebende Raumvolumen. Zum Beispiel, eine unterlebensgroße Plastik wird von einem davor stehenden Kind als „groß“ empfunden, nicht aber, wenn sie in großer Entfernung aufgestellt ist. Aus diesem Wahrnehmungsbestand entwickelt sich die Beachtung einer Betrachtungsdistanz, die der Erwachsene unwillkürlich zu einer Plastik je nach ihrer Größe einnimmt.


Materialgerechtheit

Um dem Material gerecht zu werden wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts versucht die besondere Struktur des Materials in der Gestaltung dadurch zu berücksichtigen, dass sie wieder direkt und meist ohne Zuhilfenahme eines Gips- oder Tonmodells im originalen Material arbeiteten. In der Konsequenz dieses Neuansatzes, die Form während des Arbeitsprozesses direkt im Kontakt mit dem Material zu suchen, wurde der Formfindungsprozess schließlich auf den Kopf gestellt. Der Künstler entwickelte nun seine Formvorstellungen aus dem Zustand des Materials selbst und versuchte, den Materialstrukturen gerecht zu werden, indem er sie zu Gestaltungsgrundlage machte und sich nur durch sie führen ließ.

Im Hoch- und Spätmittelalter war das Material nur soweit wichtig, dass es den Gestaltungsprozess aushielt. Die Römer bewiesen sogar, dass dies für sie unwichtig war, durch die Vervielfältigung von Marmorkopien von Bronzewerken, was an den Stützen zu sehen ist.

Im Mittelalter und im Barock wurde häufig ein und die selbe Form aus verschiedenen Materialien und in unterschiedlichen Größen hergestellt. Der Grund hierfür ist eine Rangordnung der Materialien, die sich nach dem Grad der Haltbarkeit, der Seltenheit und der Schönheit des Materials richtete. Gold → Bronze → Stein → Holz. Es gab bei den unterschiedlichen Materialien keinerlei Unterscheidung in der Bearbeitungsweise (außer im je anderen Herstellungsprozess).

Des Weiteren transportierte die Färbung eines Materials bestimmte Bedeutungsinhalte. Gold durch seinen Glanz Unfassbares (z.B. Gott), purpurnes Porphyr für römische Kaiser vorbehalten, weißer Marmor konnte „Reinheit“ oder „Idealität“ bedeuten.

Bei der Materialgerechtigkeit handelt es sich also um die Formgebung, die auf den Grundsatz zurückgeht, jeden Werkstoff in seiner natürlichen Schönheit und in einer seinen technischen Eigenschaften entsprechenden Verarbeitungen bzw. Konstruktionen unverhüllt ästhetisch wirksam werden zu lassen (Ausdrucksgehalt).

Der Formfindungsprozess eines Modulleurs ist mehr noch mit der Malerei verwandt, auch hier wird in den leeren Raum hinein gestaltet, es kann hinzugefügt oder entfernt werden – mitten im Gestaltungsprozess. Dem Skulpteur (Bildhauer) fehlt diese Korrekturmöglichkeit.

Was die Lichtführung anlangt, so neigt die Bronze zum unruhig bewegten, manchmal metallisch harten und dramatisch akzentuierten Oberflächenglanz, indes der weiße Marmor eine gewisse Lichtdurchlässigkeit besitzt.


Kontrapost

Im Wahrnehmungsraum des Menschen sind die Senkrechte und die Waagerechte durch ihre Einmaligkeit besonders herausgehoben. Senkrechte und Waagerechte werden als statische Größen empfunden, die aus sich heraus lagekonstant aufgefasst werden → Blockhaft. Schrägen wirken als dynamische Größen, die als „bewegt“ interpretiert werden. Der Eindruck der Bewegtheit einer sonst fest stehenden Plastik wird allerdings erst durch einen interpretierbaren Bewegungszusammenhang aller Richtungen innerhalb einer Figuration erreicht (z.B. David von Bernini). Ein In-Sich-Ruhen bezieht hingegen immer senkrechte bzw. waagerechte Achsenverläufe oder konzentrische Biegungen in die Gestaltung ein. Durch seine eigene lotrechte Haltung hat jeder Mensch eine Grundorientierung für „das Stehen“ und ist bei schrägem Stehen irritiert, weil es dem Gleichgewichtsgefühl widerspricht – eine Reaktion, die besonders moderne Künstler gerne nutzen. Für die Plastik im weitesten Sinne sind daher die Ponderation (gleichmäßige, ausgewogene Gewichtsverteilung der Körpermassen) eines plastischen Gebildes und dessen Proportionierung von hohem Aussagewert.

Eine der wichtigsten Ponderierungen eines stehenden Menschen ist der „Kontrapost“. Damit ist zunächst das Stehen des Menschen auf einem belasteten Bein (Standbein) und einem unbelasteten Bein (Spielbein) gemeint. Zum Ausgleich der Gewichtsverlagerungen verschieben sich einzelne Gliedmaßen im Sinne von Gegensatzpaaren, was durch die Anatomie des Menschen begründet ist: z.B. schiebt das Standbein das Becken nach oben, die darüber liegende Schulter wird aber zum Ausgleich (Ponderation) gesenkt – auf der Seite des Spielbeins findet der umgekehrte Vorgang statt. Auch ein Stehender auf zwei Beinen bedarf der Ponderierung – nur fehlt in dieser Stellung das reizvolle Gegeneinander sich bedingender Richtungen.

 



  

  



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