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Falsche Perspektive

William Hogarth (1697–1764),
Falsche Perspektive,
1754
Kupferstich, 20,8 × 17,2 cm;
London, The British Museum, Großbritannien

William Hogarth:

"Whoever makes a Design without the knowledge of perspective will be liable to such absurdities as are shown in this frontispiece."



Es wird viel erzählt in diesem Bild:

Im Hochformat ist eine idyllische Landschaft dargestellt, welche durch Menschen und Tiere belebt wird und in welcher architektonische Motive eine wichtige Rolle spielen. Die kubischen Formen der Häuser, der Bogenbrücke und der Kirche haben eine raumschaffende Funktion im Bildaufbau, wozu auch die felsigen Strukturen im Vordergrund links beitragen. Durch die klare Schichtung in Vorder-, Mittel- und Hintergrund und durch die Licht- und Schattenzonen wird der Eindruck eines gewissen illusionistischen Tiefenraumes erweckt.

Aber wenn wir der Erzählung aufmerksam folgen, merken wir bald, dass der Zeichner entweder von einer richtigen perspektivischen Raumdarstellung nichts verstand oder aber, dass der sich einen Spaß leisten wollte, denn in seinem Bild geht es merkwürdig zu: Die Häuser im Vordergrund scheinen zu schwanken, weil die Tiefenlinien der Dachkanten als ansteigende und fallende Linien weder zum Horizont noch zu einem Fluchtpunkt hin richtig verlaufen. Geradezu lächerlich falsch ist die Balkenmontage des Wirtshausschildes und, obwohl im Vordergrund befindlich, wird es von einer Baumreihe des Mittelgrundes überschnitten, bei der die entfernteren Bäume größer statt kleiner gezeichnet sind. Absurd ist auch wie groß der Vogel in die Zweige des letzten Baumes gesetzt wurde. Schließlich werden wir Zeugen eines rätselhaften Vorgangs: Der Wanderer auf dem Hügel im Hintergrund lässt sich seine Pfeife von einer Frau anzünden, die sich aus dem Fenster eines Hauses im Vordergrund herausbeugt.

Es sieht bei weiterer Betrachtung aus, als ob alle perspektivischen Fehler, welche überhaupt möglich sind, in diesem Bild vereint seien und als ob ihre witzige Zusammenstellung auf kluger Berechnung beruhe. Tatsächlich hat Hogarth das Bild als Titelblatt für ein Lehrbuch der Perspektive entworfen. Es trägt als solches eine erklärende Unterschrift, die allerdings bei unserer Abbildung fehlt: „Who ever makes a Design without the knowledge of perspective will be liable to such Absurdities as are shown in this Frontispiece.“ („Wer auch immer eine Zeichnung ohne Kenntnisse der Perspektive anfertigt, wird solchen Absurditäten ausgesetzt sein, wie sie dieses Titelbild zeigt.“).

Die Satire auf die falsche Perspektive wurde von Hogarth auf die Bitte seines Freundes Joshua Kirby gezeichnet und von dem Stecher Luke Sullivan für den Druck in Kupfer gestochen. Kirby war der Zeichenlehrer des Prinzen von Wales, dem späteren König Georg III. von England, und gab verschiedene Lehrbücher über Perspektive heraus. Als Kirby das mit Hogarths Titelbild versehene Werk im Jahre 1754 herausbrachte, wurde es wie folgt angekündigt: „Dr. Brook Taylors Methode der Perspektive, leicht fasslich in Theorie und Praxis. In zwei Bänden. Es ist dies ein Versuch, die Kunst der Perspektive leicht und angenehm darzubieten, sie für die Zeichenkunst passend zu bearbeiten und sie zu einem unterhaltsamen Studium für jeden Gentleman zu machen, der sich einen so feinen Zeitvertreib aussucht. Ipswich MDCCLIV.“

William Hogarth wurde am 10. November 1697 in London geboren. Sein Vater war ein Schulmeister, der durch verschiedene, aber glücklose Unternehmungen sein Los zu verbessern suchte. Nach einer Bekanntschaft mit dem Schuldgefängnis überließ er seinem ältesten Sohn William die Verpflichtung, für die Familie zu sorgen. William war damals noch Lehrling bei einem Gold- und Silberschmied und entwickelte unter dem Zwang zum wirtschaftlichen Erfolg eine eigene Methode, um sich mnemotechnisch einen Formvorrat zu schaffen, den er künstlerisch verwerten konnte. Nach Jahren geduldigen Kopierens von Kupferstichen, Wappen und Buchillustrationen und durch Fleiß, Zuverlässigkeit, Intelligenz und Ehrgeiz gelang es ihm in den zwanziger Jahren, sich selbstständig zu machen und schließlich der erste englische Maler von über die Insel hinausreichender Bedeutung zu werden. Das im Geiste des Puritanertums erzogene englische Bürgertum stand der Kunst als zwecklosem Luxus überwiegend misstrauisch gegenüber, falls sie nicht moralisierend den Lohn der Tugend und die Bestrafung des Lasters anschaulich machte. In dieser Einstellung sah Hogarth seine große Chance. Seine Auffassung von der Malerei als einer dramatischen Kunst fand hier ein geeignetes Feld. „Mein Bild ist meine Bühne“, sagte er und „meine Männer und Frauen meine Akteure.“ Er kannte London und ob hoch oder niedrig, keine Form des gesellschaftlichen und politischen Lebens entging seinem künstlerischem und kritischem Scharfblick. Er begann zusammengehörende Bildfolgen zu zeichnen und zu malen. Als er es sich leisten konnte, stellte er hervorragende Kupferstecher an, die seine gemalten Bilder als Kupferstiche vervielfältigten und einem großen Publikum zugänglich machten. Die berühmtesten trugen Titel wie „Das Leben einer Dame“, „Das Leben eines Wüstlings“, „Heirat nach der Mode“. Ihre Bedeutung als Sittenschilderung des Londoner Lebens in den Jahren des großen wirtschaftlichen Aufschwungs unter den ersten englischen Königen aus dem Hause Hannover kann nicht hoch genug bewertet werden. Hogarth war in einer Person Satiriker, Moralist, Erzähler und Maler. (1951 komponierte Strawinsky nach Hogarth die Oper „Der Wüstling“.) In Porträts wie „Das Krevettenmädchen“ oder „Die Grahamkinder“ sind Hogarth Bilder gelungen, die zu den zeitlosen Spitzenwerken der Weltkunst gehören. Sein im Jahr 1753 erschienenes kunsttheoretisches Werk „Die Analyse der Schönheit“ erregte auch in Deutschland Aufsehen. Ganz im barocken Sinn erklärt Hogarth darin die „Schönheit als eine komponierte Verschlingung der Form, die das Auge und über das Auge den Geist zu einer Art Jagd verlockt“. Als Hogarth im Jahre 1764 starb, hatten zwar jüngere Maler wie Reynolds und Gainsborough mit einer an den großen Italienern orientierten Malerei die Gunst des Publikums errungen, doch bleibt sein Ruhm als Begründer einer eigenständigen englischen Malerei unangefochten. So scheint das Urteil des englischen Dichters und Satirikers Charles Churchill (1731–1764) zu stimmen als er dichtete: „Hogarth unrivall‘d stands and shall engage unrivall‘d praise to the most distant age.“ („Hogarth steht konkurrenzlos da und wird unvergleichliches Lob bis in die fernste Zeit bekommen“.)

Johannes Lindenmaier in: Meisterwerke der Kunst

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